Prof. Dr. Wolfgang Scherf
Volkswirtschaftslehre und Öffentliche Finanzen

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Wolfgang Scherf

Übernahme kommunaler Schulden durch den Bund?

Bundesinnenminister Horst Seehofer hat Ländern und Kommunen Hilfe beim Abbau von Altschulden angeboten. Unabhängig von den Hilfsbedingungen ist dieser Vorschlag nicht zielführend, da er die Verantwortlichkeiten im föderalen Staat weiter verwischt. Es ist Aufgabe der Länder und der Kommunen selbst, das Altschuldenproblem zu lösen.

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Der deutsche Föderalismus leidet seit langem an einer intransparenten Politikverflechtung. Besonders problematisch ist die Einmischung des Bundes in Länder- und Gemeindeangelegenheiten, die in der Regel mit der Bereitstellung von Bundesmitteln versüßt wird. Nach diesem Muster wurde der neue Länderfinanzausgleich gestrickt. Nun hat der Bund einen „Plan für Deutschland“ vorgelegt, der – neben vielen anderen Maßnahmen – durch Entlastung von Altschulden die kommunale Investitionskraft stärken und einen Beitrag zur Gleichwertigkeit der Lebensverhältnisse leisten will.

Horst Seehofer betont zwar, dass die Länder grundsätzlich für die aufgabenadäquate Finanzausstattung der Kommunen verantwortlich sind. Auch will der Bund die Schulden nicht übernehmen, aber er bietet Gespräche über eine „nationale Lösung“ des Altschuldenproblems an. Selbst wenn Art und Umfang der in Aussicht gestellten Bundeshilfen noch offen bleiben, zeichnet sich ab, dass ein weiterer Transferkanal eröffnet werden soll.

Unstrittig dürfte sein, dass die Bundesländer für ihre Kommunen einstehen müssen. Sollten ihnen zur Lösung kommunaler Finanzprobleme selbst die Mittel fehlen, dann wäre eine Anpassung der vertikalen Steuerverteilung zwischen Bund und Ländern die richtige Antwort. Der Bund soll sich nicht in Einzelprobleme einmischen, die auf der Länder- oder Gemeindeebene liegen. Vertikale Ungleichgewichte sind vorzugsweise global auszugleichen, um die Finanzautonomie der Länder nicht unnötig einzuschränken.

Ob die Länder relativ zum Bund finanziell schlechter ausgestattet sind, um ihre Aufgaben zu erfüllen, erscheint eher zweifelhaft. Seit Jahren wachsen die Ländereinnahmen stärker als die des Bundes (vgl. Arbeitskreis Steuerschätzung). Die Einnahmen nach Finanzausgleich liegen 2019 bei den Ländern um 26,1%, beim Bund jedoch „nur“ um 23,7% über denen des Jahres 2014. Die Differenz wird sich dank neuem Länderfinanzausgleich noch vergrößern. 2020 erhöht sich das Plus gegenüber 2014 voraussichtlich auf 32,5% für die Länder gegenüber 26,1% für den Bund. Noch besser entwickeln sich übrigens die Einnahmen der Gemeinden (2019: 29,7%; 2020: 35,0% Plus gegenüber 2014).

Vor diesem Hintergrund wirkt die Bundesinitiative deplatziert. Die Länder können das Problem überschuldeter Kommunen auf ihrem Hoheitsgebiet durchaus selbst lösen und haben das zum Teil auch bereits getan. Hessen hat beispielsweise 2018 mit der sogenannten Hessenkasse ein Programm zum Abbau der Kassenkredite aufgelegt. Die Kredite der am Programm beteiligten Kommunen werden ganz oder zum Teil in die Hessenkasse überführt. Die Kommunen müssen einen Eigenbeitrag leisten, um die Kredite abzuzahlen, sind aber das Risiko steigender Zinsen los.

Die Nachhaltigkeit der Entschuldung wird durch Maßnahmen der Kommunalaufsicht gesichert. Jede Kommune muss ihre Konten zum Jahresende ausgleichen. Kassenkredite dürfen also nur noch zweckgerecht eingesetzt werden, um kurzfristige Liquidität zu gewährleisten. Laut Institut der deutschen Wirtschaft ist das Ergebnis vielversprechend: „Ohne die Hessenkasse hätten die Kassenkredite der hessischen Kommunen 2018 bei fast 900 Euro je Einwohner gelegen – mit dem Programm waren es nur etwas mehr als 70 Euro“.

Das Beispiel Hessen zeigt, dass die Länder keinen Schuldenschnitt auf Bundeskosten benötigen, sondern kommunale Finanzprobleme selbständig lösen können. Sie haben dabei die Zügel in der Hand, denn sie können die Modalitäten der Entschuldungsprogramme festlegen und sie verfügen mit dem kommunalen Finanzausgleich und der Kommunalaufsicht über wirksame Instrumente zur Vermeidung einer neuen Schuldenspirale. Daher scheint das Risiko überschaubar, durch die Übernahme der Schulden Fehlanreize für die kommunale Haushaltsführung zu setzen. Dass Gemeinden, die vielleicht sorgsamer gewirtschaftet, vielleicht aber auch von ihrer höheren Wirtschaftskraft profitiert haben, den Schuldenerlass in Form geringerer Landeszuweisungen mitfinanzieren müssen, ist freilich der unvermeidliche Preis der angestrebten Konsolidierung.

Im Vergleich zu einer Schuldenübernahme durch den Bund sind die Verantwortlichkeiten jedenfalls deutlich besser verteilt. Es gibt keinen Grund, die Länder aus der Verantwortung für eine angemessene Finanzausstattung der kommunalen Ebene, aber auch für die wirksame Regulierung der kommunalen Schulden zu entlassen. Bundeshilfen externalisieren das Altschuldenproblem nicht nur innerhalb eines Bundeslandes, sondern heben es unnötigerweise auf eine höhere Ebene. Länder, die bereits eigene Mittel eingesetzt haben, um ihre Kommunalfinanzen zu sanieren, werden indirekt noch einmal zur Kasse gebeten, weil sie weniger Steuereinnahmen als sonst möglich erhalten.

Hinzu kommt, dass der Bund die Schuldenpolitik der Gemeinden, die Hilfen empfangen, nicht unmittelbar steuern kann. Zur Eindämmung von Fehlanreizen ist er also auf die Mitwirkung von Ländern angewiesen, die das Problem selbst nicht hinreichend angepackt haben. An der Spitze der kommunalen Kassenkredite stehen 2018 das Saarland (1.887 Euro pro Einwohner), Rheinland-Pfalz (1.302 Euro) und Nordrhein-Westfalen (1.271 Euro). Hessen (73 Euro) gehört nicht mehr dazu, sondern liegt inzwischen unter dem Durchschnitt der westdeutschen (193 Euro) und auch der ostdeutschen Flächenländer (77 Euro).

Dies offenbart das Potential einer klaren Landesstrategie zur Konsolidierung der kommunalen Haushalte. Ein Bundesprogramm würde den zur Selbsthilfe unwilligen Ländern einen allzu bequemen Weg aus der kommunalen Schuldenfalle eröffnen und die Selbstverantwortung im föderalen Bundesstaat weiter unterminieren. Wenn der Bund zu viel Geld hat, darf er gerne etwas davon abgeben, aber nicht in Form spezieller Finanzhilfen für einzelne, sondern in Form frei verfügbarer Steuermittel für alle Länder. Eine gute Alternative wäre eine Rückerstattung an die Steuerzahler.


20.08.2019 © Wolfgang Scherf

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Der Beitrag ist auch erschienen auf Wirtschaftliche Freiheit